Ambulanter Gelenkersatz bei 90 Minuten Klinikaufenthalt
Ist ein ambulanter Gelenkersatz mit einem Klinikaufenthalt von nur 90 Minuten wirklich in hoher Qualität möglich?
Ja, es ist nicht nur möglich sondern wird seit Jahren sehr erfolgreich in Atlanta USA praktiziert. Aber wie funktioniert das und wie sind die Ergebnisse?
Am 13.11.2024 fand im Diakonie-Klinikum Stuttgart die hybride Veranstaltung „Endoprothetik – Next Level! Internationale Trends beim Gelenkersatz“ unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Aldinger statt.
Unter den Schlagwörtern Rapid Recovery und Fast Track gibt es seit geraumer Zeit auch bei uns in Deutschland die Bestrebungen, die Verweildauer in Kliniken nach Gelenkersatz stark zu reduzieren. In vielen Kliniken sind 2-3 Tage bereits Standard. Dr. Manfred Krieger ist im GPR-Rüsselsheim einer der Vorreiter in Deutschland mit ‚A hip in a Day‘ (morgens in die Klinik, abends nach Hause). Auch hat er bisher einmal zwei künstliche Hüftgelenke ambulant operiert. Ich durfte diesen Patienten Anfang des Jahres bei einer Patienten-Veranstaltung kennenlernen. Er war absolut zufrieden mit seinen beiden Gelenken.
In Deutschland wird man allerdings als Klinik bei ambulanten Gelenkersatz abgestraft.
Seitens der Kostenträger sind mindestens zwei Tage Krankenhausaufenthalt Pflicht. Andernfalls gibt es ein paar Tausend Euro Abzug von der OP-Vergütung. Das kann und will sich aus kaufmännischen Gesichtspunkten keine Klinik auf Dauer leisten.
Prozess-Optimierungen beim Gelenkersatz sind langfristig unabdingbar
Um die stark ansteigenden Zahlen der notwendigen Gelenkersatz-OPs in den nächsten Jahrzehnten mit weniger Personal und Ressourcen zu bewältigen, muss man auf Optimierung der Prozesse setzen, ohne dass die Qualität leidet. Eine Arbeit aus 2023 im The Journal of Bone and Joint Surgery, Inc. sagt z.B. eine Verfünffachung der Gelenkersatz-Operationen bis zum Jahre 2060 voraus.
Was machen die Klinik in Atlanta und Dr. Charlie deCook anders?
Prof. Dr. Peter Aldinger und Prof. Dr. Michael Clarius waren zusammen mit dem OP-Manager Jens Graf zwei Tage in Atlanta, um sich persönlich ein Bild davon zu machen, was dort möglich ist. Beide schildern eindrucksvoll ihre anfängliche Skepsis und waren danach von den perfekt optimierten Prozessen und OP-Abläufen inkl. Narkosemanagement, Reinigung der OP-Säle, Vorbereitung und Reinigung der Instrumenten-Siebe und dem Pflegemanagement überzeugt und begeistert.
Sie haben mit eigenen Augen gesehen, wie die Patienten 90 Minuten nach der Ankunft im Klinikum problemlos selbstständig zu Fuß (natürlich mit zwei Unterarmstützen) zum Ausgang gehen und dort von einem Angehörigen abgeholt werden. Nach einer Gesamt-OP-Zeit von etwas unter 30 Minuten inkl. Narkoseeinleitung, stehen die Patienten ca. 10 Minuten nach der OP auf, bekommen etwas zu essen und müssen allein zur Toilette. Danach sind ca. 100 Meter, sowie einige Stufen zu Fuß zu bewältigen – natürlich in Begleitung eines Physiotherapeuten. Anschließend ziehen sie sich selbstständig an und gehen nach Hause. Die Angehörigen sind in dem Prozess-Ablauf angewiesen, exakt nach 90 Minuten wieder zur Abholung vor Ort zu sein.
Ergebnis dieses Vormittags in Atlanta
14 Prothesenimplantationen in 5 Stunden, alle ambulant, alle ohne Komplikationen, alle zufrieden.
Die sog. PONV (Postoperative Übelkeit und Erbrechen) als lästige Nebenwirkung des Anästhesieverfahrens wird durch ein spezielles Medikament vermieden. Auch beim Schmerzmanagement geht man dort andere Wege. Während man in Deutschland meist den ‚Null-Schmerz‘ Anspruch hat und das nur mit starken Schmerzmitteln erreicht, ist man in Atlanta mit einem Schmerzlevel von 5 (auf der Skala von 1-10) zufrieden, da die meisten vorher ein höheres Level hatten. Dazu braucht es auch das Verständnis des Patienten. Dieses wird in einer einmonatigen OP-Vorbereitung trainiert.
Diese Vorbereitungszeit ist verpflichtend und beinhaltet folgende Schritte:
- Indikation zur OP feststellen
- Präoperative Schulungen für Patienten und Familie
- Anleitung der Patienten, Gewicht und die körperliche Verfassung zu optimieren
- Patientenübungen zu Hause
- Prüfung der Sicherheit in der häuslichen Umgebung
- Vorbereitung des eigenen häuslichen Umgebung für die optimale Genesung
Darüber hinaus gibt es einige Ausschluss-Kriterien:
- BMI > 42
- 1 Monat vor der OP nicht komplett rauchfrei (Überprüfung mittels Urinprobe bei Klinikankunft)
- Der Patient darf nicht alleine leben
Alle Patient, die operiert werden wollen, müssen einen umfangreichen Fragebogen mit teils sehr persönlichen Angaben ausfüllen. Ich bin zwar kein Jurist, vermute aber, dass einige der Fragen bei uns in Deutschland rechtlich nicht zulässig wären. Dazu gibt es weitere auszufüllende Formulare und zu akzeptierende Bedingungen.
Ein Vergleich des amerikanischen Models mit dem deutschen wurde hier veröffentlicht.
Danach könnten in Deutschland 1,5 Millionen Krankenhaustage und 3,5 Millionen Pflege-/Reha-Tage nach der OP pro Jahr eingespart werden.
FAZIT
Ein paar Fragen, wie z.B. die Betreuung nach der OP zu Hause bei etwaigen Problemen, medizinischen Fragen oder Unsicherheiten exakt erfolgt, bleiben. Dies habe ich u.a. bei Dr. deCook nachgefragt. Sobald ich eine Antwort erhalte gibt es ein Update.
Mit Sicherheit wird die Ambulantisierung auch bei uns mehr und mehr Raum gewinnen.
Lt. Ärzteblatt vom April 2024 sind die Ausgaben für ambulante Operationen im Jahr 2023 um 30 Prozent gestiegen. Auch die KBV (Kassenärztliche Bundesvereinigung) fordert hier mehr Tempo.