Physiotherapie – die oft unterschätzte Kraft des Heilens
In Deutschland ist seit geraumer Zeit endlich eine Diskussion in Gang gekommen, die den Direktzugang zum Physiotherapeuten fordert, also ohne ärztliches Rezept. Dies ist bereits in 40 Ländern weltweit möglich. Siehe Artikel aus der Apotheken-Umschau von vor einem Jahr. Geändert hat sich seitdem leider nichts.
Aus meiner Sicht liegen die Vorteile für Patienten auf der Hand: reduzierte Wartezeiten und weniger Verordnungen von Medikamenten. Außerdem würden Ärzte entlastet und insgesamt die gesamtgesellschaftlichen Kosten, durch Verringerung von aufwendiger Diagnostik und bildgebenden Verfahren, reduziert – so zumindest die Erfahrung aus anderen Ländern.
Unbestritten ist natürlich, dass dabei Budget- und Haftungsfragen geklärt werden müssen, etwa wenn eine Falschbehandlung erfolgt.
Die weiteren Gegenargumente, dass Physiotherapeuten zu wenig diagnostische Kompetenz haben und daher Fehldiagnosen getroffen werden könnten, kann ich zwar teilweise nachvollziehen, aber Fehldiagnosen von Ärzten sind beileibe auch keine Seltenheit.
Mit politischem Willen und konstruktiver Zusammenarbeit aller beteiligten Verbände und Krankenkassen, sollte es auch in Deutschland möglich sein, einen einfachen Zugang zur Physiotherapie zu etablieren.
Ich selbst kann bis auf ganz wenige Ausnahmen nur von positiven Erfahrungen mit Physiotherapeuten berichten. Durch meine sportlichen Aktivitäten und ingesamt drei Hüft-Operationen habe ich über lange Jahre viele Physiotherapeuten (weibliche und männliche) kennengelernt in verschiedenen Bundesländern (NRW, Bayern, Hessen). Allen war eines gemein: Sehr engagiert, kompetent und auf den Patienten eingehend. Stellvertretend für alle sei Julia (Foto) genannt, die mich in meiner schwierigen Situation nach der Revisions-OP 2018 in der 6-wöchigen Warte- und Teilbelastungszeit bis zu stationären Reha perfekt behandelt hat – mit viel Empathie und großer Expertise.
Und wenn ich mal wirklich nicht zufrieden war mit meinem Therapeuten, was auch einige wenige Male vorgekommen ist, habe ich diesen gewechselt – genauso, wie ich mich auch nicht scheue, bei Unzufriedenheit einen anderen Arzt aufzusuchen.
Zum Schluss noch einen Hinweis aus eigener Erfahrung: Physiotherapie kann nicht immer nur sanft erfolgen. Es kann durchaus auch mal schmerzhaft und anstrengend sein, wenn sich der Behandler im Abstimmung mit dem Patienten an Bewegungsgrenzen herantastet oder versucht, besonders tief liegende Muskeln zu lockern. Hier ist mitunter soviel Druck notwendig, dass dabei auch schon mal ein blauer Fleck nach der Behandlung entstehen kann. Ich erwähne das deshalb, weil in meiner Facebook-Gruppe „TEPFIT – Fit mit künstlichen Gelenken (Hüfte und Knie)“ genau diese Diskussion vor kurzem stattfand und sich darüber ausgelassen wurde, was das für unmögliche Physiotherapeuten seinen, die den Patienten ja geradezu verletzen. Im Übrigen steht es jedem Patienten frei, die Behandlung abbrechen zu lassen, wenn es zu unangenehm wird.
Physiotherapeuten leisten einen wirklich wertvollen Beitrag zur vollständigen Genesung nach operativen Eingriffen, sowie bei allgemeinen Beschwerden des Bewegungsapparates, der leider zu oft unterschätzt wird.
Das Argument, wir Physios können nicht diagnostizieren, ist haltlos. Denn wie oft steht auf der Verordnung nur „Gelenkfunktionsstörung“. Inwieweit dort welches Gelenk „gestört“ ist, muss der Therapeut selbst herausfinden.
Die Blankoverordnung stand auch mal zur Diskussion. Der Arzt diagnostiziert und verordnet dann allgemein Physiotherapie. Art und Dauer der Therapie bestimmt dann der Therapeut. Das wäre zumindest mal ein Anfang, oder ein guter Übergang zum direkten Zugang.
Die Aussagen kann ich voll und ganz bestätigen! Die letzten Jahre vor meiner TEP hat mir die regelmäßige Physio geholfen, mit wenig Schmerzmitteln halbwegs gut mit meiner Arthrose leben zu können. Durch die Fehlstellung und Schonhaltung gab es einseitige (Muskel-)Überbelastungen, denen der Physiotherapeut zumindest kurzfristig gegensteuern konnte. Nicht zuletzt kam ich auch durch seine Behandlung gut vorbereitet in die Klinik. Wir wissen alle, dass eine gute Vorbereitung den halben Gensesungserfolg ausmacht.
Ich war auch erfreut, als mein Therapeut, ein Niederländer mit niederländischer Ausbildung, zusätzlich Heilpraktiker und Osteopath wurde. Danach brauchte ich als Privatpatient keine Verschreibungen mehr vom Arzt was letztlich auch der Kasse zugute kam. Im Übrigen war es zumindest vor rund 5 Jahren erschreckend wenig, was er selbst bei mir als Privatpatient verdiente. Der Stundensatz lag unter dem mancher Handwerker (wobei ich deren Stundensätze gar nicht zur Disposition stellen will).
Michael Twardon