2021 – Das Jahr der digitalen Medizin?

Deutschland hat im Vergleich zu anderen Ländern bei der Digitalisierung in der Medizin noch immer Nachholbedarf. Das geht aus einer Bevölkerungsumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag von Fresenius in Deutschland, Spanien und den USA hervor. Demnach sind vor allem Spanien, aber auch die USA, in mehreren Bereichen deutlich weiterentwickelt, wie das Ärzteblatt im Mai 2021 veröffentlicht hat.

Aber es ist deutlich zu spüren, dass von staatlicher Seite, aber vor allem durch agile Digital Health Startups (junge digitale Gesundheits-Unternehmen) der Versuch unternommen wird, hier kräftig aufzuholen.
Wenn man mal die ganzen Anglizismen und die scheinbar in der DNA der Startups liegenden modernen Begriffe wie ‚Value Based Managed Care‘, ‚Empowerment‘ oder ‚Patient-reported Outcome Measures‘ und ‚Patient-reported Experience Measures‘ = ‚PROMS & PREMS‘ – um nur einige zu nennen – außer Acht lässt, geht es im Wesentlichen um Folgendes:
Das Entwickeln von medizinischen Plattformen mit einer datenbasierten Qualitätstransparenz, einhergehend mit der Optimierung von Therapie und Versorgung, der die Patienten über deren gesamten Behandlungsweg möglichst individuell begleitet. Man verspricht sich dadurch Steigerungen von Effizienz und Qualität und idealtypisch kürzere Behandlungszeiten mit Kosteneinsparungen bei gleichzeitig höherer Zufriedenheit der Patienten – also eigentlich die Quadratur des Kreises.

Dabei wird es ohne die Sammlung und Verarbeitung von Massendaten oder – um im Terminus zu bleiben – ohne Big Data und künstliche Intelligenz (KI) nicht gehen. Und hier liegt auch in Deutschland eines der Probleme: Der Datenschutz.
So wichtig dieser natürlich ist, wird leider zu oft über das Ziel hinausgeschossen. Beispiele mögen die Corona-Warn-App (CWA) und die elektronische Patientenakte (ePA) sein. Letztere bietet bisher so gut wie keinen Mehrwert. Mehr als selbst digitalisierte Dokumente in die App zu laden, geht bisher nicht. Es sind kaum Arzt-Praxen angeschlossen und die Freigabe von Daten geht nur gesamt oder überhaupt nicht. Ein aktuelles Update hat zwar etwas nachgebessert, aber erst in der geplanten Ausbaustufe ab 1.1.2023 wird diese Anwendung wirklich Sinn machen, sofern die Planung auch eingehalten wird.

Staatlich finanzierte Projekte sind oft zu
schwerfällig, zu teuer und ineffizient

Es zeigt sich leider wie auch in anderen Bereichen, dass Projekte, wenn diese von staatlichen Stellen finanziert und beauftragt werden, viel zu schwerfällig sind. Brandaktuell ist die Meldung des Bundesministerium für Gesundheit (BMG) – Mehrheitseigner der für Umsetzung des E-Rezeptes und für die bisher mangelhafte ePA verantwortlichen gematik GmbH -, die zum 1.1.2022 geplanten Einführung des E-Rezeptes auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Als weiteres Negativ-Beispiel mag der wirklich gute Ansatz der vom BMG erstellten Webseite gesund.bund.de inkl. zugehörigem YouTube-Kanal gelten. Man wollte erreichen, dass bei Anfragen an ‚Dr. Google‘, möglichst immer zuerst diese Seite mit gesicherten und validen Gesund-/Krankheitsinformationen gefunden wird. Lt. Information des Handelsblatt vom Sommer diesen Jahres hat diese Seite gerade mal 65.000 Besucher pro Monat und der zugehörige YouTube-Kanal zeigt die Abonnenten-Anzahl sicherheitshalber erst gar nicht an (vermutlich sind es unter 100, da der Kanal noch keine benutzerspezifische URL hat). Aber man kann sich die geringen Zahlen ungefähr denken, wenn z.B. das Video über Entstehung von Arthrose gerade mal 191 Aufrufe zum Zeitpunkt dieses Artikels hat.
Unser eigener, ohne jegliche finanzielle Mittel erstellter YouTube-Kanal TEPFIT, hat dagegen über 700 Abonnenten. Das am meisten aufgerufene Video liegt jenseits von 21.000 Aufrufen.
Es fehlt an intensiver Werbung für die Initiative des BMG und ein Vertrag mit Google, um diese Seite immer ganz oben anzuzeigen, wurde auf dem Klageweg von NetDoktor verhindert. So wurde leider aus einer guten Idee bisher nur ein mit vielen Steuergeldern – lt. Handelsblatt ca. 5 Millionen Euro pro Jahr – finanzierter Rohrkrepierer.


Die zahlreich entstandenen und entstehenden Digital Health Startups sind da viel flexibler und agiler. Um allerdings als Medizinprodukt zugelassen zu werden, gibt es gesetzliche Vorgaben.
Im Gegensatz zu sog. ‚Fitness-Apps‘, die zahlreich in App-Stores heruntergeladen werden können, gelten für Medizin-Apps strenge Gesetze und Regeln bezüglich der Verwendung von Daten. Die Einhaltung dieser Vorgaben wird von unabhängigen Prüfern kontrolliert und zertifiziert. Darüber hinaus wird die Einhaltung der Regeln im Jahresturnus erneut auditiert. Das gilt für die nachfolgend erwähnten DiGAs genauso wie für die App von alley. Nur deshalb dürfen diese Anwendungen auch als Medizinprodukte geführt werden.

Doch wann und wie wird eine medizinische App für Nutzer interessant? Mindestens folgende Voraussetzungen sollten gegeben sein, damit diese genutzt wird und sowohl für Patient wie Behandler interessant ist:

  • Einfache Handhabung und einfache Installation/Einrichtung
  • Eine intuitive Nutzerführung, neudeutsch Usability
  • Spürbarer Mehrwert für den Nutzer (Zeitersparnis, gesicherte Informationen und Vermeidung unnützer Arztbesuche oder Behandlungen)
  • Vermeidung der Mehrfach-Anamnese (bei jedem Behandler)
  • Aus Sicht der Leistungserbringer / Behandler schneller Zugriff auf die notwendigen Daten und somit eine direkte Rückkopplung zwischen Arzt oder Physio-Praxis und Patient.
  • Und trotz Digitalisierung einen analogen Ansprechpartner bei Ängsten, Problemen oder organisatorischen Fragen, ein sog. hybrider Ansatz.

Bisher sind 25 digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) offiziell gelistet. Dies bedeutet, diese können vom Arzt per Rezept verschrieben werden und die Anbieter erhalten dann von den Krankenkassen eine Vergütung pro Verordnung. Zahlen von Oktober 2021 zeigen laut eines Artikels des Handelsblatts, dass rund 45000 Apps verschrieben wurden.

Manuel Mandler, Christina Auffenberg, Peter Herrchen (v.r.n.l.) – bei alley in Köln Dez 2021

Eine Medizin-App für Menschen mit Hüft- und Kniebeschwerden oder Arthrose entwickelt das 2019 gegründete Startup alley. In einer Evidenz-Studie, die 2022 Ergebnisse liefern wird, will man nachweisen, dass alle Patienten, die von alley auf ihrem gesamten Behandlungsweg begleitet werden, besser, individueller und kosteneffizienter behandelt werden können als bisher.

Agile Startups werden der Digitalisierung im
Gesundheitswesen zunehmend einen großen Schub verleihen

Ich konnte mich im Dezember 2021 persönlich im Rahmen von Dreharbeiten bei alley in Köln von der Idee und dem Konzept in Gesprächen mit dem Gründer Manuel Mandler und der Kommunikations-Chefin Christina Auffenberg (siehe Foto) überzeugen. Die oben genannten Voraussetzungen für eine erfolgreiche App werden alle erfüllt. Unsere TEPFIT-Gruppe und ich haben naturgemäß ein sehr großes Interesse an der App und dem Unternehmen, da ja genau unsere Zielgruppe angesprochen wird. Ich hatte zudem die große Freude, meine Erfahrungen und die unserer TEPFIT-Mitglieder seit Ende 2019 bei alley einzubringen.

2021 hat der digitalen Medizin definitiv einen Schub gegeben, auch Pandemie bedingt. Es ist aber noch ein weiter Weg, bis die Digitalisierung in allen medizinischen Bereichen flächendeckend angekommen ist und die aktuellen Player am Markt werden einen langen Atem benötigen.
Seien wir gespannt, wie es sich 2022 – auch unter dem neuen Gesundheitsminister – insgesamt in dieser Richtung weiterentwickelt und ob die mit Steuergeld finanzierten Projekte endlich mehr Fahrt aufnehmen.

Update zum Unternehmen alley

Leider musste alley zum 30.06.2023 seine Geschäftstätigkeit einstellen. Die medizinisch und fachlich validierten Inhalte konnten zum großen Teil übernommen werden (siehe hier).


2021 hat diese Webseite ihr 10-jähriges Jubiläum gefeiert. 
Seit dem Start gab es bisher eine halbe Million Seitenaufrufe. 
Dafür allen treuen Lesern ein ganz herzliches Dankeschön, ein friedliches Weihnachtsfest und 
ein hoffentlich für alle gesundes und sportliches Jahr 2022.

1 Antwort

  1. 21. Dezember 2023

    […] Eingangsfrage kann leider nicht sehr positiv beantwortet werden.In meinem Rückblick vor zwei Jahren habe ich 2021 bereits als das Jahr der digitalen Medizin ausgerufen. Da war ich meiner Zeit […]

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